Festtag Samstag, 6. August 2022, Kloster Mariensee

Gesang für Mariä Himmelfahrt aus dem Marienseer Gebetbuch

16 Uhr ‚Klangwelten 1522‘. Musik von Frauen in Reformation und Romantik     
Henrike Lähnemann und Anhad Arora (Oxford) stellen in einem Vortrag mit Musikbeispielen die Klangwelt der norddeutschen Frauenklöster von vor 500 Jahren und deren Revival in der Romantik vor. Im Zentrum stehen im ersten Teil das 1522 geschriebene Gebetbuch der Marienseer Äbtissin Odilie von Ahlden und der Choral ‚Herr Christ, der einge Gottessohn‘ von Elisabeth Cruciger, die 1522 aus dem Kloster nach Wittenberg ging, im zweiten Teil Lieder mit mittelalterlichen und Hoheliedmotiven von Annette von Droste-Hülshoff, Clara Schumann und Fanny Hensel. Einführung Äbtissin Bärbel Görcke, Nachfolgerin der FrauenOrt-Patronin Odilie von Ahlden. 

Am 15. August 1522 stiegen die Zisterzienserinnen-Nonnen von Kloster Mariensee zum Fest der Himmelfahrt ihrer Namenspatronin Maria hinauf in den Nonnenchor, der damals die ganze Westhälfte der Kirche überspannte. Sie ordneten sich in zwei Chören auf der Nord- und Südseite an, der eine Chor geführt von der Cantrix, der Sängermeisterin des Klosters, die auch die Mädchen in der Klosterschule im Singen unterrichtete, der andere von ihrer Stellvertreterin, der Succentrix; am Kopfende, also da ungefähr, wo jetzt die hinteren Orgelpfeifen auf der Empore sind, thronte die Äbtissin Odilia von Ahlden. Sie war 1512 zur Äbtissin gewählt worden war, nachdem sie vorher selbst als Cantrix schon jahrzehntelang Chefliturgin gewesen war. Währenddessen hatte sich unten in der Klosterkirche im Altarraum auf der Ostseite der Klerus versammelt. Erst wurden eine Sequenz und ein Hymnus gesungen, und der Propst stimmte eine Antiphon an, die Maria als „klugste Jungfrau“ pries; dann setzte die Orgel ein und einer der Kleriker am Ostende sang die Frage aus dem Hohenlied: „Wer ist die, die aufsteigt wie Morgenröte?“ und der gesamte Konvent der Nonnen antwortete, ebenfalls mit Worten des Hohenlieds, vom Nonnenchor: „Sie ist es, köstlich unter den Töchtern Jerusalems; es sahen sie die Töchter Zions und priesen sie als auf höchste selig und die Königinnen lobten ihr Antlitz.“

Gesang für Mariä Himmelfahrt aus dem Marienseer Gebetbuch

Die einzelnen Teile dieses Wechselgesangs zum Orgelklang sind auch für andere Orte bezeugt, aber die Zusammenstellung in ihrer festlichen Form war offensichtlich etwas, das die Äbtissin ausdrücklich festhalten wollte. Denn als sie an Michaelis 1522 eine Sammlung der Gebete und Gebräuche für die „gottgeweihten Jungfrauen des Sees der heiligen Maria“ fertigstellte, fügte sie ein einziges spezielles Liedblatt ein, das diesen Wechselgesang aus dem Hohenlied zu Ehren Marias enthielt, das Sie als Abbildung auch auf Ihrem Handzettel haben. Die Handschrift selbst ist in der Ausstellung im Klostermuseum zu sehen, den Kirchenraum mit dem Wechselgesang später in Vesper und Kantatenkonzert zu erleben. Was wir beide Ihnen jetzt in der nächsten Stunde Ihnen vorstellen möchten, ist Hintergrund und Weiterwirken dieser Mischung: Frauen und das Hohelied.

Ich fange im ersten Teil damit an, die Klangwelt 1522 aus Liturgie und Liedern vor dem Hintergrund der Klostererziehung zu erläutern und dann auf die Destillation dieser Klangwelt bei Elisabeth Cruciger im Choral ‚Herr Christ, der einge Gottssohn‘ zu schauen; im zweiten Teil, den Anhad Arora einführen wird, geht es um ein Revival der Hoheliedsprache und Bildlichkeit im romantischen Liedgut von Frauen, mit Liebesliedsätzen von Annette von Droste-Hülshoff, Clara Schumann und Fanny Hensel geb. Mendelssohn-Bartholdy.

Musikunterricht nahm eine zentrale Rolle im Kloster ein; Beispiel Ebstorf: Dot flit, dat dar rechte sungen vnd lesen wart, pauses et predominantes halden warden vnd dot cantrici, succentrici truweliken helpen, vnd saet nicht vnd swiget vnd latet se so nicht allen singen, wo vaken schut. Gy moten nu dar flitich in syn, idt wyl nu myt der tyd an juw langen, vp dat gyt deste beth wanen, wen gyt don schollen. 

Die Nonnen, die im Festgesang zu Mariä Himmelfahrt singend die Rolle der Töchter Jerusalems aus dem Hohenlied einnehmen, um Maria als Braut des Hohenlieds zu preisen, waren gleichzeitig durch die Nonnenweihe selbst zu Bräuten Christi geworden und beziehen die Anrede als „auserwählte Braut“ aus dem Hohenlied auch auf sich selbst. Das wird in den Andachtsbüchern, wie sie sich beispielsweise aus Kloster Medingen erhalten haben, deutlich. Ich habe als Textbeispiel heute aber einen Ausschnitt aus einem Brief gewählt, der aus einem anderen Frauenkloster – vielleicht ja sogar Mariensee? – an die Nonnen von Kloster Lüne geschickt wurde, als Gratulationsschreiben zum Kirchweihfest am Tag des hl. Bartholomäus, dem 24. August. Dieses Jahr wird Kloster Lüne wieder diesen Tag begehen, um festlich das 850-jährige Bestehen zu feiern.

Briefauszug aus den Lüner Briefen


18 Uhr Vesper zum Fest Christi Verklärung 
19:30 Uhr BWV 96 ‚Herr Christ, der einge Gottessohn‘. Kantatenkonzert 

Jan Katzschke und Ensemble ‚Corona harmonica‘ musizieren die Kantate BWV 96 mit einer Gesprächseinführung zum Hintergrund der Bachschen Musik von Jan Katzschke und Henrike Lähnemann.Besetzung S A T B, Flauto traverso & piccolo, Oboe I/II, Violino I/II, Viola, Continuo, Entstehungszeit: 8. Oktober 1724, Anlass: 18. Sonntag nach Trinitatis.

Klangwelten 1522. Musik von Frauen in Reformation und Romantik
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